17/03/2022

LA MIF

Lora ist Leiterin eines Heims für verhaltensauffällige Jugendliche in der Westschweiz. Nachdem dort zwei minderjährige Teenager beim Sex erwischt wurden, kassiert sie eine Rüge und darf in der Folge nur noch Mädchen beherbergen. Alle kommen aus schwierigen Verhältnissen, einige sind misshandelt, missbraucht oder von Erwachsenen im Stich gelassen worden. In diesem Heim aber finden sie Liebe, Solidarität und eine Ersatzfamilie – la mif (fr. Umgangssprache für la famille).

Trotzdem sind Konflikte unter den Mädchen, als auch mit ihren Betreuenden an der Tagesordnung. Unter allem brodelt Loras unverarbeitetes Trauma, der Verlust ihrer eigenen Tochter. Das zieht ihr langsam den Boden unter den Füssen weg und lässt die Dinge ausser Kontrolle geraten.

Dem Genfer Filmemacher und ehemaligen Sozialarbeiter Fred Baillif ist mit «La mif» ein explosiv-energetisches Drama gelungen. Es gewährt einen realistischen Einblick in ein Heim, in dem das Aufsichtspersonal noch dysfunktionaler scheint als die Insassinnen selbst. Diese werden von jungen Laiendarstellerinnen verkörpert, die grösstenteils tatsächlich in solchen Einrichtungen leben. Durch ihre eigenen Erfahrungen sowie Improvisationen formen sie die Geschichten, die Baillif in starken Einzelporträts nachzeichnet – mit einer Kamera, die immer nahe an den Figuren bleibt. «La mif» ist ein beeindruckendes Ensemblestück, das institutionelle Probleme offenbart und mit viel Vehemenz und Aufrichtigkeit gespielt ist.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

Bildnachweis: https://www.medientipp.ch/wp-content/uploads/2022/03/