23/06/2022

UTAMA

«Wenn der Kondor merkt, dass er nicht mehr nützlich ist und schwach, fliegt er auf den höchsten Berg. Dort zieht er die Flügel ein und lässt sich fallen», erklärt Grossvater Virginio seinem Enkel aus der Stadt. «Hat er keine Angst?» – «Hat er bestimmt», seufzt der Grossvater und blickt in die Weite des Altiplano. Noch ahnt Enkel Clever nicht, dass der Kondor aus der Erzählung sinnbildlich für seinen Grossvater steht. Dieser ist schwer krank, versucht aber seine zunehmende Schwäche zu verheimlichen. Es hat im bolivianischen Hochland keinen Platz für Weicheier, so der Grossvater.

Virginio und seine Frau Sisa sind Quechua. Sie leben ausserhalb des Dorfes in einem Lehmhaus, mitten im kargen Altiplano. Der Tradition verpflichtet, halten die beiden Lamas und betreiben Ackerbau. Aber seit über einem Jahr bleibt der Regen aus und das Wasserholen wird für die alte Frau immer beschwerlicher. Auch die Lamas finden kaum mehr Nahrung. Doch Virginio will partout nicht in die Stadt ziehen. Das Haus und das Hochland sind seine Heimat («Utama»), hier lebt er, hier will er sterben.

Alejandro Loayza Grisi erzählt seine Geschichte über die Bedrohung traditioneller Lebensweisen, Klimakrise und Entwurzelung in überwältigenden Bildern. Die Kamera transzendiert die selbstverständliche Naturverbundenheit der Quechua regelrecht. Als Zuschauer*in ist man betroffen: unser Lebensstil ist dafür verantwortlich, dass Menschen, wie die beiden Alten, ihren Lebensraum verlieren. Gut, dass uns dies unter die Nase oder die Augen gerieben wird!

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp

«Utama», Bolivien 2021; Regie: Alejandro Loayza Grisi; ProtagonistInnen: José Calcina, Luisa Quispe, Santos Choque; Verleih: Trigon; Filmseite: www.trigon-film.org/de/movies/utama

Ab 23. Juni 2022 im Kino

Bildnachweis: https://www.medientipp.ch